Hochwasserereignisse im Rheingebiet: Das Hochwasser im Spätherbst und Winter 1882/83

Hydrometeorologische Situation

Niederschlag 23.-26.11.1882
Abb. 1: Niederschlag [mm] im Rheingebiet vom 23.-26. November 1882 (aus [11] )

Nachdem der Oktober 1882 für das Rheingebiet mit Ausnahme des Alpenraumes meist nur etwa mittlere Niederschlagsverhältnisse gebracht hatte, setzte Anfang November eine Phase sehr ergiebiger Niederschläge ein, von der die Schweiz jedoch verschont blieb. Mehrere Tiefdruckgebiete überquerten Mitteleuropa und verursachten neben stürmischen Südwestwinden und heftigen Regenfällen und Gewittern auch einen erheblichen Temperaturanstieg. Mitte November geriet Nordeuropa zunehmend unter Hochdruckeinfluss, während die Tiefdruckgebiete weiter südwärts wanderten. Dies führte zum rapiden Absinken der Temperatur und zu starkem Schneefall in den höheren Lagen. Im letzten Novemberdrittel verlagerten sich die Tiefdruckgebiete wieder mehr nach Norden, wodurch ozeanische Warmluft einströmte, was heftige Regenfälle und ein schnelles Schmelzen des zuvor gefallenen Schnees zur Folge hatte. Der meiste Regen dieses Monats fiel vom 23.-26. November, die resultierenden Niederschlagssummen und ihre räumliche Verteilung sind in Abb. 1 dargestellt. Hunsrück, Odenwald, Pfalz, Süd-Schwarzwald und Vogesen waren besonders betroffen. [2][11]
Anfang Dezember 1882 gelangte Mitteleuropa wieder zunehmend unter den Einfluss eines von Nordosten heranziehenden Hochdruckgebiets, verbunden mit einer tiefen Temperaturabsenkung und Schneefällen. Ab dem zweiten Dezemberdrittel strömte nur langsam wieder mildere ozeanische Luft in das Rheingebiet. Vom 10.-20. Dezember blieb es vorwiegend trocken. Im Zuge eines von der Nordsee in südöstlicher Richtung quer über Mitteleuropa voranschreitenden Tiefdruckausläufers setzte am 20. Dezember eine stärkere Zufuhr feucht-warmer Luftmassen ein. Dies führte zu ergiebigen Regen- bzw. im Gebirge zu starken Schneefällen. Die Temperatur war zwar etwas gestiegen, der Boden blieb im oberen Rheingebiet aber größtenteils schneebedeckt und gefroren. Das Zusammentreffen von Tiefdruckgebieten von Nord- und Ostsee mit einem Hochdruckgebiet über dem südwestlichen Europa verursachte ab dem 25. Dezember Südwestwinde und ausgeprägten Föhn in den Alpen. Es ereignete sich eine ungewöhnlich rasche Temperaturzunahme, insbesondere in der Schweiz. Der gleichzeitig aufgetretene und bis zum 28. Dezember fast ständig anhaltende intensive Regen führte in kurzer Zeit zum kompletten Abschmelzen der Schneedecke. Im Südschwarzwald und in den Vogesen wurden vom 25.-27.12.1882 bis über 200 mm Niederschlag gemessen. [2][11]

Ablauf des Hochwassers

Durchflussverlauf Hochwasser 1882/83
Abb. 2: Durchflüsse (Tagesmittelwerte: 1.11.1882 - 31.01.1883) an ausgewählten Pegeln im Rheingebiet
Überschwemmungsgebiet 1883
Abb. 3: Überschwemmungsgebiet 1882/1883 am Oberrhein zwischen Ludwigshafen-Mannheim und Mainz (Auszug aus: [7] )

Die Starkniederschläge zu Novemberbeginn verursachten schnelle beträchtliche Anschwellungen der Mittelgebirgsflüsse, nur Alpenrhein und Aare überschritten nicht das mäßige Niveau. Die Wasserstände waren Mitte des Monats wieder im Rückgang begriffen, als mit den neuerlichen Niederschlägen zu Beginn des letzten Novemberdrittels das extreme Rheinhochwasser seinen Anfang nahm. Aufgrund der relativ geringen Zuflüsse aus der Schweiz erreichte der Oberrhein erst unterhalb des Neckars außerordentlich hohe Durchflüsse, obgleich die Schwarzwaldflüsse und die Ill bedeutsame Hochwasser aufwiesen. Der Neckar führte sein Hochwasser in zwei Wellen zum Rhein, wobei der Scheitel der zweiten Welle zeitlich etwa mit dem Eintreffen des Wellenscheitels aus dem Main und aus der Mosel zusammenfiel. Da sich an Main und Mosel extremes Hochwasser entwickelt hatte, erlangte der Rhein an den Pegeln Mainz und Koblenz den höchsten eisfreien Wasserstand, der dort bisher im 19. Jahrhundert beobachtet worden war. Der maximale Durchfluss im Rhein ereignete sich am Pegel Worms am 27.11.1882, an den Pegeln Mainz, Koblenz und Andernach jeweils am 28.11.1882. Auch im weiteren Stromverlauf wurden an zahlreichen Pegeln historische Höchststände erreicht. Das Durchflussmaximum trat am Pegel Köln am 29.11.1882 und am Pegel Emmerich am 1.12.1882 auf. Die Wellenscheitel von Lahn, Sieg, Ruhr und Lippe hatten sich bereits im Zeitraum 24.-27.11.1882 in den Rhein ergossen und trugen mit zur außergewöhnlichen Höhe und Dauer dieser Hochwassererscheinung bei. Zwischen Mannheim und Emmerich erstreckte sich die Überschreitungsdauer des mittleren Hochwasserstandes der Jahresreihe 1896/1920 über 17 bis 30 Tage. [2][11][12]
Nach Ablauf des November-Hochwassers sank der Wasserspiegel des Rheins vom 21. bis 24.12.1882 auf den tiefsten Stand im Monat Dezember, wobei etwa mittlere Wasserstände vorherrschten. Den Beginn des folgenden Hochwassers markierten schnelle Anschwellungen am 25.-26. Dezember an fast allen Rheinzuflüssen und am Hauptstrom. Bereits am 28.12.1882 erreichte der Rhein bei Basel sein Durchflussmaximum. Im weiteren Verlauf ließ die durch Schwarzwald- und Vogesenflüsse verstärkte Flutwelle den Wasserstand bis zur Neckarmündung an den meisten Pegeln über den damaligen Jahrhundert-Höchststand steigen. Es ereigneten sich zahlreiche Deichbrüche, sodass sich der maximale Durchfluss beispielsweise am Pegel Maxau erst am 30./31.12.1882 einstellte. Dabei handelte es sich um den dort bis heute größten registrierten Durchfluss. Zwischenzeitlich hatte der Neckar bereits am 28.12.1882 seinen extrem hohen Wellenscheitel in den Rhein ergossen. Am Folgetag stellte sich am Pegel Mannheim ein historisch bedeutender Höchststand ein. In der bayerischen und hessischen Rheinniederung kam es zu ausgeprägten Deichbrüchen und weiten Überflutungen (Abb. 3). Die dadurch verflachende Rhein-Neckar-Welle wurde von der Oberrhein-Welle abgelöst, die unmittelbar zur Jahreswende durch den Scheitel der Mainflut Verstärkung erhielt. Lahn und Mosel hatten bereits am 28. bzw. 30.12.1882 ihren Höchststand erreicht, wodurch der größte Durchfluss im Rhein bei Koblenz und Andernach am 31.12.1882 eintrat. Einen Tag später erreichte der Rhein bei Köln sein Durchflussmaximum, im weiteren Verlauf bis zur Ruhrmündung verzögerten Ausuferungen das Voranschreiten der Flutwelle. Unterhalb der Mündung der Lippe, deren Wellenscheitel erst am 2.01.1883 dem Rhein zuströmte, stieg der Rhein überall höher an als im November 1882. Zum Jahresbeginn 1883 ereigneten sich in Neckar, Main, Nahe und Lahn neue Anschwellungen. Bei Mainz war am 5.01.1883 der Höchststand des Dezember/Januar-Hochwassers am Rhein zu verzeichnen, wobei dieser Wellenscheitel nur bis Köln in Erscheinung trat. [2][11]

Schadensbilanz

Hochwasser Neuwied 1882/83
Abb. 4: Hochwasser 1882/83 in Neuwied (aus: [4] )
Hochwasser Oppau 1882/83
Abb. 5: Hochwasser 1882/83 in Oppau (heutiger Stadtteil von Ludwigshafen) (aus: [3] )

Aufgrund der Flutkatastrophe mussten zahllose Menschen ihre Häuser vorübergehend verlassen. Wieviele Menschen ums Leben kamen, ist unklar. Aus dem Großherzogtum Hessen wird von drei Toten berichtet. Nördlich von Ludwigshafen verunglückte am 2. Januar 1883 ein Boot mit Evakuierten aus Oppau, 32 Menschen ertranken. Bei Lörrach starben 13 Schaulustige beim Einbruch einer Brücke über die Wiese (Rheinzufluss). [2][5][6]
Während das Hochwasser vom November/Dezember 1882 vor allem im Rheingebiet zwischen Main und Ruhr katastrophale Schäden verursachte, wurden von der Flut zur Jahreswende 1882/83 die Oberrhein-Anlieger am stärksten betroffen. Ende November waren entlang des Mains und unterhalb von Oppenheim am Rhein schwere Überschwemmungen zu verzeichnen. Davon waren sowohl die Großstädte Mainz, Frankfurt, Koblenz, Köln, Düsseldorf und Duisburg erheblich betroffen, als auch zahlreiche kleinere Orte an Main und Rhein. So standen beispielsweise im Rheingaukreis 992 Wohnhäuser aus 26 Ortschaften unter Wasser. Auch an Saar, Sauer und Mosel ereigneten sich große Überschwemmungen, in Trier stieg das Wasser in Straßen und Häusern bis 2,5 m hoch. Im Regierungsbezirk Koblenz befanden sich in der Stadt Neuwied mit damals 9600 Einwohnern die Wohnhäuser von 9000 Einwohnern im Überflutungsgebiet (Abb. 4). Im Regierungsbezirk Köln beschädigte das Novemberhochwasser fast 4000 Gebäude und überflutete nahezu 7400 ha, im Regierungsbezirk Düsseldorf wurden 10500 Hausgrundstücke aus 92 Städten und Gemeinden sowie insgesamt über 52000 ha überschwemmt. [2][8]
Entlang der Ausbaustrecken des Oberrheins verursachte der Strom keine schweren Deich- und Überschwemmungsschäden, in den Seitentälern des Schwarzwaldes entstand durch das Hochwasser zur Jahreswende 1882/83 jedoch erheblicher Schaden. Während die Deiche entlang der badisch-elsässischen Grenze mit wenigen Ausnahmen standhielten, traten unterhalb folgenschwere Deichbrüche auf, beispielsweise zwischen Maxau und Mannheim, wodurch Rheinsheim überschwemmt wurde. Die bayerische Rheinniederung unterhalb von Ludwigshafen wurde durch einen Deichbruch bei Oppau am 28./29. Dezember 1882 inklusive mehrerer Ortschaften schnell und hoch überflutet (Abb. 5). Infolge von Deichbrüchen geriet auch fast die komplette hessische Rheinniederung mit zahlreichen Orten und Siedlungen unter Wasser (Abb. 3). Dort wurden insgesamt über 41000 ha Kulturfläche überschwemmt. Im preußischen Rheingebiet brachte die Dezemberflut vielerorts nahezu eine Wiederholung der Ereignisse vom November. [1][2][5][8]
Flurschäden entstanden durch Abschwemmung von Boden, Feldfrüchten, Weinkulturen und Wintersaaten oder durch Übersandung und Geröllauflagerung. Große Mengen eingebrachter Vorräte wurden weggeschwemmt oder verdarben. Für die Staatskasse schlugen die zahlreichen Beschädigungen der Verkehrswege und der wasserbaulichen Anlagen erheblich zu Buche. Zur Linderung der akuten Not und zur Behebung der Schäden stellte der Preußische Staat im Dezember 1882 zunächst 500.000 Mark und per Gesetz vom 21. Januar 1883 3 Mio. Mark zur Verfügung. Der Deutsche Kaiser Wilhelm I. gewährte im Januar 1883 600.000 Mark Soforthilfe aus Reichsmitteln. Im Großherzogtum Hessen wurden die Aufwendungen zur Schadensbeseitigung bzw. -minderung auf über 3 Mio. Mark beziffert. Neben staatlichen Zuwendungen wurden beträchtliche Hilfeleistungen durch private Spenden und Initiativen ermöglicht. [6][8][9][10]

Stoffliche und hygienische Belastung

Es wurden keine Informationen gefunden. Hinweise sind willkommen.

Quellen, Literatur, Berichte

  • [1] Grossherzogliche Landescultur-Inspection (Hrsg.) [1883]: Karte über das Ueberschwemmungsgebiet des Hochwassers im Winter 1882/83 längs des Main- und Rheinstromes in dem Grossherzogthum Hessen. - Lithograph. Geograph. Anstalt C. Welzbacher; Verl. A. Bergsträsser: 1:100.000, Darmstadt
  • [2] Honsell, M. (1883): Die Hochwasser-Katastrophen am Rhein im November und December 1882. - Centralblatt der Bauverwaltung 3 (5/6): 39-43, 49-56, Berlin
  • [3] Klausner, P. [1883]: Erinnerungsblätter an die Schreckenstage der Hochfluth von 1882-1883. - Verl. H. Diesbach: 1-16, Anh., Mannheim
  • [4] Koch, H. [1883]: Das Hochwasser am Rhein im Winter 1882/83 Neuwied. - 13 Fotografien, Neuwied
  • [5] Krebs, G.L. (1883): Der Dammbruch bei Oppau am 29./30. Dezember 1882. - Frankenthal. [Faksimile: Verein zur Förderung des Karl-Otto-Braun-Museums e.V. (Hrsg.) (1982). Fendrich. Ludwigshafen-Oppau]
  • [6] Landescomité zur Unterstützung der Wasserbeschädigten im Großherzogthum Hessen (1883): Rechenschafts-Bericht. - 1-6, Anl., Darmstadt.
  • [7] Perthes, J. (Hrsg.) [1883]: Überschwemmungsgebiet am Rhein 1883. - Verl. J. Perthes: 1:740.000, Gotha [Wissenschaftliche Stadtbibliothek Mainz, Sign.: KR 101]
  • [8] Preußisches Haus der Abgeordneten (Hrsg.) (1883): Entwurf eines Gesetzes, betreffend die Bewilligung von Staatsmitteln zur Beseitigung der im Stromgebiete des Rheines durch die Hochwasser herbeigeführten Verheerungen, nebst Begründung. - Haus der Abgeordneten - Aktenstück Nr. 54: 826-841, Berlin
  • [9] Klee, H. (Hrsg.) (1883): Das Reich als Hilfespender. - Neueste Mittheilungen 2 (4) - 1. Berlin
  • [10] Geheimes Staatsarchiv - Preußischer Kulturbesitz (GeStA-PK): Akte: I.HA Rep.90 A,3816: Hochwasser im Herbst 1882 und im Winter 1882/83 im Stromgebiet des Rheins. - Potsdam
  • [11] Honsell, M. & Tein, M. v. (1891): Auftreten und Verlauf der Hochwasser von 1824, 1845, 1852, 1876 und 1882/83 - In: Centralbureau für Meteorologie und Hydrographie im Grossherzogthum Baden (Hrsg.): Untersuchung der Hochwasserverhältnisse im Deutschen Rheingebiet. - Heft II. Ernst und Sohn: 1-123, 7 Taf., Berlin
  • [12] Soldan, W., Seifert & Friedrich (1929): Gutachten der Preußischen Landesanstalt für Gewässerkunde über die Ursachen und den Verlauf des Hochwassers im Rheingebiet im Dezember 1925 und Januar 1926 und über Maßnahmen zur Verhütung von Hochwasserschäden. - Jahrbuch für die Gewässerkunde Norddeutschlands. Besondere Mitteilungen 5 (2). E.S. Mittler u. Sohn: 9-58, 18 Anl., Berlin
  • Sachwitz, G., Sommer, H., Lerch, K., Gerhard, H. & Kille, K. (1982): Die Hochwasserereignisse von 1882/83 am Rhein in Hessen und die Hochwasserschutzmaßnahmen der Gegenwart. - Wasser & Boden 34 (12): 534-542, Berlin
  • Mühl, H. (1990): Hochwasser - Niedrigwasser - Eisgänge: Geißeln der Flußbewohner (Teil II). - Hansen-Blatt 43: 147-170, St. Goar
  • Masius, P. (2013): Risiko und Chance. Das Jahrhunderthochwasser am Rhein 1882/1883. - Universitätsvlg. Göttingen: 1-146, Göttingen