Hochwasserereignisse im Rheingebiet: Das Februarhochwasser 1970

Hydrometeorologische Situation

Wetterkarte 21.02.1970
Abb. 1: Wetterkarte vom 21. Februar 1970 um 1.00 Uhr MEZ (leicht verändert aus [7] )

Im Januar 1970 war der Niederschlag im gesamten Rheingebiet meist überdurchschnittlich hoch und erreichte im südlichen Rheintal 200% des langjährigen Januar-Mittels. In den ersten beiden Februarwochen verlagerte sich ein ausgedehntes Tiefdrucksystem nach Nordeuropa und brachte an seiner Südflanke vor allem dem südlichen Rheingebiet fast tägliche Niederschläge. Vom 14.-17. Februar führte ein weiteres Tiefdruckgebiet aus Nordosten kontinentale Kaltluft heran, wodurch ein Temperatursturz eintrat. Anschließend brachte ein atlantisches Tiefdruckgebiet mildere Temperaturen und feuchte Meeresluft, die nach Aufgleiten auf die vorhandene Kaltluft zu Schneefällen führte. Die Schneedecke im Tiefland und Mittelgebirge erreichte am 19. Februar ihre größte Mächtigkeit und Ausdehnung. Im Hochgebirge lag über 2,5 m Schnee. Am 21. Februar 1970 setzte eine Starkregenperiode ein. Die Wetterkarte dieses Tages mit der höchsten Niederschlagsintensität zeigt Abb. 1. Hochdruckgebiete befanden sich vor der Iberischen Halbinsel und über Nord-Rußland. Die maritimen Warmluftmassen hatten Westeuropa bereits erreicht und zogen weiter Richtung Osten. An der Warmluftfront entstanden Wellen und Verwirbelungen, die sich schnell nach Südosten verlagerten und zusätzlich zu dem allgemeinen Aufgleiten von Warmluft die Niederschlagsmenge erhöhten. Am 22. Februar wurde an 89 Stationen im Rheingebiet ein 24h-Niederschlag von mindestens 50 mm gemessen. Der Regen und die fortschreitende Erwärmung brachten den Schnee im Tiefland und Mittelgebirge schnell zum Schmelzen. Erst am 23. Februar ließen die Regenfälle in einigen Gebieten nach. Am 24. Februar verursachte kalte Meeresluft aus Nordwesten vor allem am Oberrhein nochmals ergiebige Niederschläge. In den letzten Februartagen gelangte Mitteleuropa unter den Einfluss kalter kontinentaler Luftmassen aus Nordosten. Es kam zu geringen Schneefällen und Dauerfrost. Insgesamt fiel im Februar 1970 etwa das Dreifache des langjährigen durchschnittlichen Februar-Niederschlags. [6][7][8]

Ablauf des Hochwassers

Durchflussverlauf Hochwasser 1970
Abb. 2: Durchflüsse (Tagesmittelwerte: 01.02. - 20.03.1970) an ausgewählten Pegeln im Rheingebiet

Die Wassersättigung des Bodens erreichte Ende Januar 1970 ihr Maximum. So führten die Niederschläge Anfang Februar schnell zu einer ersten großen Hochwasserwelle des Rheins, deren Scheitel am 4. Februar Basel und am 6. Februar Maxau erreichte (Abb. 2). Unterhalb des Neckars war eine zweite Flutwelle bedeutsamer, deren Scheitel sich in der zweiten Februarwoche über den Mittel- und Niederrhein fortpflanzte. Die Kälteperiode Mitte Februar führte allgemein wieder zum Fallen der Wasserstände, bevor die heftigen Niederschläge und das Tauwetter in der letzten Februarwoche eine extreme Hochflut verursachten. Der Scheitel dieser Hochwasserwelle passierte Basel am 23. Februar. An diesem Tag traf bereits der außergewöhnlich hohe Flutscheitel des Neckars auf den Rhein und bildete mit diesem eine ausgedehnte Hochwasserwelle. In Worms hielt sich der Wasserstand drei Tage (24.-26. Februar) in extremer Höhe. Die Flutscheitel von Rhein und Main, der ebenfalls extremes Hochwasser führte, trafen dicht aufeinander (Durchflussmaximum am Pegel Mainz (Rhein) und Frankfurt/Osthafen (Main) am 27. Februar), wodurch sich ein weiter Rückstau in den Untermain bildete. Auch in Kaub trat der Höhepunkt des Flutereignisses am 27. Februar ein. Während die Lahn ebenfalls ein außergewöhnlich hohes Hochwasser aufwies (Flutscheitel bei Kalkofen am 24. Februar), blieb die Hochflut der Mosel noch weit unter dem Niveau anderer Hochwasserereignisse. Ihr Flutscheitel hatte Cochem bereits am 24. Februar erreicht, sodass sich das Durchflussmaximum im Rhein am Pegel Andernach schon am 25. Februar einstellte. Von Andernach pflanzte sich die Hochflut des Rheins innerhalb von zwei Tagen bis zu den Pegeln Emmerich und Lobith fort. Auch wenn auf diesem Fließweg das für den Pegel Andernach registrierte Durchflussmaximum nicht mehr überschritten wurde, gehörte das Hochwasser auch am Niederrhein zu den größten des Jahrhunderts. [1][2][3][8][10]

Schadensbilanz

Hochwasser Koblenz 1970
Abb. 3: Rhein-Hochwasser im Februar 1970 in Koblenz: Blick auf die Basilika St. Kastor (Rheinmuseum Koblenz, Nr. RM1547)

Das Hochwasser im Februar 1970 verursachte am Oberrhein bis zur Neckarmündung keinen erheblichen Schaden. Unterhalb hatten am Rhein die Städte Mainz, Rüdesheim, Koblenz (Abb. 3), Köln und Ruhrort besonders unter Überschwemmungen zu leiden. Am Neckar waren vor allem Neckarsulm und Heidelberg, am Main Hanau und Frankfurt betroffen. Unter den kleineren Städten am Mittelrhein entstand beispielsweise in St. Goar beträchtlicher Schaden.
Aufgrund des Hochwassers musste die Schifffahrt im Februar am Ober- und Mittelrhein für 14 Tage und am Niederrhein für 8 Tage unterbrochen werden.
Angaben zur monetären Schadenshöhe wurden nur für Hessen gefunden, wo der Gesamtschaden auf 20 Mio. DM veranschlagt wurde. [1][2][3][9]

Stoffliche Belastung

Ionenfracht Rhein Emmerich/Lobith
Abb. 4: Nährstoff-, Chlorid- und BSB5-Fracht des Rheins an der Messstelle Emmerich/Lobith im Vergleich zum Durchfluss (Pegel Emmerich, Tagesmittelwerte) im Zeitraum 10. Januar bis 15. März 1970 (nach Daten aus [4] ). Die waagerechten Linien stellen die Jahresmittelwerte der in gleicher Farbe dargestellten Kenngrößen dar.

Im Jahr 1970 wurden bei Karlsruhe-Maxau tägliche Messungen zum Schwebstoffgehalt des Rheins durchgeführt. Die Jahresmaxima der Schwebstoffkonzentration und -fracht traten dort bereits am 4. bzw. 5. Februar auf (335 mg/l bzw. 58054 t/d) und waren erheblich größer als die Spitzenwerte der Phase der größten Durchflüsse während der letzten Februarwoche (128 mg/l am 23. Februar bzw. 38901 t/d am 24. Februar). [5][10]
Daten zur chemischen Fracht des Rheins während des Hochwassers sind exemplarisch für die ehemalige an der deutsch-niederländischen Grenze gelegene Messstelle Emmerich/Lobith in Abb. 4 dargestellt. Für den Probenahmetag mit dem größten Durchfluss, den 24. Februar, wurde auch die größte Chlorid- und Ammonium- sowie die zweitgrößte Nitratfracht des Jahres ermittelt sowie das Jahresmaximum des als Fracht berechneten Biochemischen Sauerstoffbedarfs in 5 Tagen (BSB5). In allen vier Fällen wurde die mittlere Jahresfracht erheblich übertroffen. Die größte Phosphatfracht des Jahres 1970 (1,0 kg/s PO4-P) wurde dagegen erst am 22. März registriert, auch im Mai traten größere Phosphatfrachten auf als in Abb. 4 dargestellt.
Am 24. Februar befand sich die Konzentration des BSB5 (6,7 mg O2/l) und des Ammoniums (1,2 mg/l NH4-N) im Bereich des Jahresmittels, während eine überdurchschnittliche Nitrat-Konzentration vorlag (3,1 mg/l NO3-N). Für Chlorid wurde an diesem Tag mit 78 mg/l die zweitniedrigste Konzentration des Jahres gemessen. Die Phosphat-Konzentration wies am 14. Februar den niedrigsten Jahreswert auf (0,07 mg/l PO4-P) und lag auch am 24. Februar mit 0,10 mg/l PO4-P im Vergleich zum Jahresmittel (0,18 mg/l PO4-P) auf niedrigem Niveau. [4]
Insgesamt lassen die Messwerte eine hohe Belastungssituation des Rheins durch Nährstoffe, Chlorid und organische Stoffe erkennen.

Quellen, Literatur, Berichte

  • [1] Bundesanstalt für Gewässerkunde (1970): Wasserwirtschaftlicher Lagebericht I. Quartal 1970. - Das Gas- und Wasserfach Wasser/Abwasser 111 (7): 415-416, München
  • [2] Frohnholzer, J. (1970): Wasserreiche Februarmonate. - Die Wasserwirtschaft 60 (11): 366-371, Berlin
  • Arbeitsgemeinschaft Rheinwasserwerke e.V. [1971]: Chemische, physikalische und bakteriologische Untersuchungen. Januar-Dezember 1970. - 27. Bericht der Arbeitsgemeinschaft Rheinwasserwerke e.V.: 1-57, Anh., Köln
  • [3] Bussche-Haddenhausen, D. v.d. (1971): Rheinchronik 1970. - Beiträge zur Rheinkunde 23: 38-43, Koblenz
  • [4] Internationale Kommission zum Schutze des Rheins gegen Verunreinigung (1971): Zahlentafeln der physikalisch-chemischen Untersuchungen des Rheins sowie der Mosel/Koblenz 1970. - Koblenz
  • Hinrich, H. (1972a): Geschiebetrieb und Geschiebefracht des Rheins im Abschnitt Freistett-Worms in den Jahren 1968-1971. - Deutsche Gewässerkundliche Mitteilungen 16 (2): 29-41, Koblenz
  • [5] Hinrich, H. (1972b): Rhein bei Karlsruhe und Koblenz. Gegenüberstellung von Abfluß, Schwebstoffgehalt und Salzgehalt (einschließlich der Frachten). - Wasser, Luft und Betrieb 16 (12): 421-424, Mainz
  • Vieser, H. (1973): Folgen der Ausbaumaßnahmen am Oberrhein auf den Hochwasserabfluß. - Deutsche Gewässerkundliche Mitteilungen Sonderheft: 42-50, Koblenz
  • Arbeitsgemeinschaft der Länder zur Reinhaltung des Rheins [1975]: Die Verunreinigung des Rheins und seiner wichtigsten Nebenflüsse in der Bundesrepublik Deutschland. Ergänzungsheft "Meßdaten" zum Zwischenbericht der Arbeitsgemeinschaft der Länder zur Reinhaltung des Rheins (Stand 1971). - 1-91, [Düsseldorf]
  • [6] Landesamt für Gewässerkunde Rheinland-Pfalz (Hrsg.) (1976): Deutsches Gewässerkundliches Jahrbuch. Rheingebiet. Abflußjahr 1970. - Mainz
  • [7] Bruin, H.A.R. d., Bijvoet, H.C. & Krijnen, H.J. (1977): Betrachtungen über das Hochwasser vom Februar und März 1970 - Wetterablauf. - In: Internationale Kommission für die Hydrologie des Rheingebietes (Hrsg.): Das Rheingebiet. - Teil A - Texte: 161-170, Den Haag
  • [8] Made, J.W. v.d. (1977): Betrachtungen über das Hochwasser vom Februar und März 1970 - Hydrologische Verhältnisse. - In: Internationale Kommission für die Hydrologie des Rheingebietes (Hrsg.): Das Rheingebiet. - Teil A - Texte: 170-190, Den Haag
  • [9] Mühl, H. (1985): Als die Hansenstadt im Rhein versank. Versuch einer Chronik der Hochwasserkatastrophe von 1970. - Hansen-Blatt 38: 63-77, St. Goar
  • [10] Bundesanstalt für Gewässerkunde: Schwebstoffdatenbank (SchwebDB). - Koblenz