Hochwasserereignisse im Odergebiet: Das Hochwasser im August / September 1854

Hydrometeorologische Situation

Luftdruck 19. August 1854
Abb. 1: Rekonstruktion der Luftdruckverhältnisse (Meeresniveau) im Odergebiet am 19. August 1854, 6.00 Uhr (aus [6]); dargestellte Einheit: mm Quecksilbersäule (Normaldruck: 760 mm Quecksilbersäule = 1013 Hektopascal)

Bereits im Mai und Juni 1854 übertraf der Niederschlag in weiten Teilen des Odergebiets das langjährige Monatsmittel. In der ersten Julihälfte fielen dann sehr hohe Niederschlagsmengen, wobei sich das Zentrum des Tiefs im Gebiet der Warta (Warthe) befand. Ende Juli trat wiederum eine Regenperiode auf, die sich bis über das erste Drittel des Folgemonats erstreckte. Nach einzelnen niederschlagsfreien Tagen setzte vom 16. bis 21. August eine außerordentlich ergiebige Starkregenphase ein, in der beispielsweise bei Bohumín (Oderberg) 151 mm, bei Racibórz (Ratibor) 135 mm, bei Wrocław (Breslau) ca. 130-140 mm sowie bei Gora (Guhrau) im Gebiet der Barycza (Bartsch) 121 mm Regen fielen. Messwerte aus den Gebirgen fehlen. Wesentliche Ursache der heftigen Niederschläge, die ihre maximale Intensität meist am 19./20. August erreichten, war ein der Zugstraße Vb zuzuordnendes Tiefdruckgebiet, das sich am 16./17. August über Oberitalien, der Adria und der Steiermark befand. Zwischen diesem und einem weiteren im Norden befindlichen Tief drang von Westen ein Hochdruckgebiet keilförmig nach Osten vor. Vom 18. auf den 19. August verlagerte sich der Kern des südlichen Tiefs von Ungarn nach Südwest-Polen und schritt von dort nur sehr langsam in nordnordwestlicher Richtung voran - also etwa in Fließrichtung der Oder (Abb. 1). Es entstand eine Verbindung zu einem nördlichen Tiefdruckgebiet mit Kern über Dänemark. Von Westen war inzwischen ein weiterer Hochdruckkeil herangezogen. Am 20. August lag der Kern des von Süden kommenden Tiefs bei Bydgoszcz (Bromberg) an der Wisła (Weichsel) und wanderte von dort noch etwas nach Westen. Am 22. August war dieses Tief nicht mehr vorhanden. Ab dem 23. August ereigneten sich in diesem Monat an einzelnen Tagen noch weitere, weniger intensive Regenfälle. [2][3][6]

Ablauf des Hochwassers

Aufgrund der zahlreichen Niederschläge hatte sich bereits im Juli ein schweres Sommerhochwasser an Oder und Warta (Warthe) entwickelt, dessen Scheitel am 19. Juli Schwedt erreichte. Die Regenfälle Anfang August brachten die obere Oder bereits ab dem 8. August wieder zum Steigen. Eine kleinere Hochwasserwelle durchlief Schlesien vom 9.-14. August, während am Oder-Unterlauf bei Schwedt erst ab Mitte August ein erneuter Anstieg des Wasserspiegels einsetzte. Zu diesem Zeitpunkt standen am Unterlauf infolge des Juli-Hochwassers noch ausgedehnte Flächen unter Wasser. Die Oder-Hochflut im August begann an der oberen Oder mit dem Wiederanstieg des Wasserspiegels zu Beginn der zweiten Monatshälfte. Neben der starken Wasserzufuhr aus dem Oder-Quellgebiet und den linksseitigen Oderzuflüssen, die bis einschließlich der Ślęza (Lohe) alle große Hochwasser führten, resultierte das enorme Anwachsen dieses Hochwassers vor allem aus dem Zustrom der aus tieferen Regionen stammenden rechtsseitigen Oder-Zuflüsse, die ungewöhnlich große Sommerhochfluten aufwiesen. Dazu gehörten Kłodnica (Klodnitz), Mała Panew (Malapane), Widawa (Weide), Barycza (Bartsch) und nicht zuletzt die Warta (Warthe). Der Hochwasserscheitel passierte die obere Oder im Abschnitt Racibórz (Ratibor) bis Opole (Oppeln) im Zeitraum 20. bis 22. August und erreichte am 23. August Wrocław (Breslau). Für die Oder unterhalb der Mündung der Kłodnica (Klodnitz) wurde ein maximaler Durchfluss von 2850 m³/s geschätzt, für Wrocław (Breslau) nur von 2450 m³/s, da oberhalb bei Brzeg (Brieg) schwere Deichbrüche aufgetreten waren und die dortige Niederung großräumig unter Wasser stand. Der Hochwasserscheitel erreichte Krosno (Krossen) am 30. August und Frankfurt/Oder am 1. September. Bis oberhalb von Frankfurt/Oder hatten sich links- und rechtsseits des Stroms zahlreiche Deichbrüche ereignet. Bei Kostrzyn (Küstrin) war der maximale Wasserstand bereits am 31. August zu verzeichnen, bevor an diesem Tag der Steinbahndamm zwischen Kostrzyn (Küstrin) und Słońsk (Sonnenburg) brach, wodurch ein Teil der Oderflut in östlicher Richtung zur Warta (Warthe) abgelenkt wurde.
Der Hochwasserscheitel der Warta (Warthe), die ihr größtes Sommerhochwasser im 19. Jahrhundert führte, traf am 1. September in Gorzów Wielkopolski (Landsberg) ein. Aufgrund des Zustroms von Oderwasser erreichte der Wasserstand der Warta (Warthe) in Kostrzyn (Küstrin) bereits am 2. September sein Maximum, parallel zum Durchgang des Oderscheitels. Die Warta (Warthe) hatte erheblichen Anteil an der Verschärfung und Verlängerung des Oderhochwassers. Bei Schwedt, wo der Flutscheitel am 4. September eintraf, wurde erst am 10. Oktober wieder der Mittelwasserstand erreicht. Aus Hochwasser-Durchflussmessungen bei Neuglietzen im Jahr 1891 wurde abgeleitet, dass das dortige Durchflussmaximum im September 1854 vermutlich knapp unter 3000 m³/s betragen habe. Durch das Hochwasser wurden 68 % des natürlichen Überschwemmungsgebiets der Oder zwischen der Mündung der Opava (Oppa) und dem Jezioro Dąbie (Dammschen See) überflutet. In Schlesien umfasste die Überschwemmungsfläche 1600 km², in der Provinz Brandenburg 445 km². [1] bis [5]

Schadensbilanz

Im schlesischen Odertal wurden an 49 Deichen 226 Bruchstellen registriert. Allein der Regierungsbezirk Wrocław (Breslau) hatte 30 Deichbrüche zu verzeichnen. In der Provinz Schlesien waren über 1800 Ortschaften von der Überflutung der Oder und ihren Zuflüssen betroffen, mehr als 2100 Wohngebäude wurden beschädigt. Die ermittelten Schäden an Wohn- und Wirtschaftsgebäuden (über 220.000 Taler) wurden von der in Ansatz gebrachten Schadenssumme für beeinträchtigte Wege, Brücken, Gräben, Ufer, Dämme, Wasserwerke,...(über 680.000 Taler) noch deutlich übertroffen. Im Regierungsbezirk Frankfurt/Oder (Provinz Brandenburg) traten an 11 Deichen Brüche auf. 540 Wohngebäude waren nach der Flut zerstört oder beschädigt. Hier wurde für Deichschäden ein Betrag von 55.000 Taler, für Gebäudeschäden (inklusive Wirtschaftsgebäude) eine Summe von rund 35.000 Taler ausgewiesen. Der weitaus größte Hochwasserschaden entstand in Schlesien und Brandenburg durch landwirtschaftliche Einbußen. Für Schlesien wurde der Verlust von Acker- und Grünlanderträgen mit rund 7,3 Millionen Taler beziffert, zuzüglich wurde ein Schadensbetrag von über 350.000 Taler für den "Verlust an Grund und Boden durch Versandung und Verkalkung" angeführt. Für das brandenburger Odergebiet wurden die Schäden auf Acker- und Grünland mit über 1,0 Million Taler bewertet. Als Gesamtschaden der Oderhochflut in den Provinzen Schlesien und Brandenburg resultiert ein Geldwert von rund 10 Millionen Taler. Dieser Geldwert wurde Ende des 19. Jahrhunderts umgerechnet als 30 Millionen Mark angegeben. [1][2][3][7]

Stoffliche und hygienische Belastung

Es wurden keine Informationen gefunden. Hinweise sind willkommen.

Quellen, Literatur, Berichte

Hydrometeorologie, Hochwasserablauf
  • Galle, J.G. (1855): Bericht über die Verhandlungen der meteorologischen Section im Jahre 1854. - Jahresbericht der Schlesischen Gesellschaft für vaterländische Kultur 32 (1854): 103-110, Breslau
  • [1] Berghaus, H. (1856a): Landbuch der Mark Brandenburg und des Markgrafthums Nieder-Lausitz. - 3. Bd., Verl. A. Müller: 1-783, I-XCV, Anh., Brandenburg
  • Engelien, A. & Henning, F. (1857): Geschichte der Stadt Landsberg an der Warthe. - Verl. F. Schäffer u. Comp.: I-VII, 1-328, 1 Anl., Landsberg/Warthe
  • [2] Bureau des Ausschusses zur Untersuchung der Hochwasserverhältnisse (Hrsg.) (1896): Der Oderstrom, sein Stromgebiet und seine wichtigsten Nebenflüsse. - Tabellen und Anlagen. Geographische Verlagshandlung D. Reimer: 1-243, Berlin
  • [3] Partsch, J. (1896): Schlesien - Eine Landeskunde für das deutsche Volk auf wissenschaftlicher Grundlage. - I. Teil: Das ganze Land. Verlagsbuchhandlung F. Hirt: I-XII, 1-420, Breslau
  • [4] Königliche Oderstrom-Bauverwaltung (Hrsg.) (1899): Zeichnerische Darstellung verschiedener Hochwasser der Oder zwischen 1831 u. 1899. - 1-2, 21 Bl., Breslau
  • [5] Fischer, K. (1907): Die Sommerhochwasser der Oder von 1813 bis 1903. - Jahrbuch für die Gewässerkunde Norddeutschlands. Besondere Mitteilungen 1 (6). Königliche Hofbuchhandlung E.S. Mittler und Sohn: I-IV, 1-101, 15 Bl., Berlin
  • [6] Hellmann, G. & Elsner, G.v. (1911): Meteorologische Untersuchungen über die Sommerhochwässer der Oder. - Veröffentlichungen des Königlich Preußischen Meteorologischen Instituts 230. Behrend & Co. Textband: I-XI, 1-235; Atlas: 55 Taf., Berlin
Schadensbilanz
  • Gumtau / Middeldorpf / Blankenburg / Witwer (1855): Die Ueberschwemmungen der Oder und deren Nebenflüsse von 1854 und ihre Folgen für die Mittelschlesischen Forsten. - (4 Einzelbeiträge). Verhandlungen des Schlesischen Forstvereins 1855: 117-139, Breslau
  • [7] Berghaus, H. (1856b): Nachweisung der Landesbeschädigungen in den Provinzen Schlesien und Brandenburg, in Folge der großen Wasserfluthen und Ueberschwemmungen im Sommer 1854. - Archiv für Landeskunde der Preußischen Monarchie 1: 146-152, Berlin
  • Wehrmann (1861): Die Eindeichung des Oderbruches. - Annalen der Landwirthschaft in den Königlich-Preußischen Staaten 27: 437-454, 499-536, 1 Kt., Berlin
  • Thomae, G. (1873): Geschichte der Stadt und Herrschaft Schwedt. - Puttkammer & Mühlbrecht: I-VIII, 1-319, 1 Bl., Berlin
  • Christiani, W. (1901): Das Oderbruch. - 3., von Wilhelm Christiani ergänzte u. fortgeführte Aufl.; Verlag E. Pilger: 1-102, Freienwalde/Oder
  • Schmidt, H. (1922): Geschichte der Stadt Grünberg, Schles. - Verlag W. Levysohn: I-X, 1-1119, Anh. , Grünberg
  • Gimmler, P. (1928): Chronik von Maltsch a. d. Oder. - Selbstverlag: 1-112, 6 Taf., Maltsch
  • Schulz, W.G. (1930/1961): Zum Neuen Saltze - Darstellungen und Quellen zur Geschichte der Stadt Neusalz (Oder). - Bd. 2 (1930): Verl. Magistrat Neusalz/Oder: I-IV, 1-389, Neusalz/Oder / Bd. 3 (1961) (Stadtbaugeschichte): Hauptamt Stadt Offenbach (Hrsg.): 1-279, Offenbach/Main