Hochwasserereignisse im Odergebiet: Das Hochwasser im Frühjahr 2010
Hydrometeorologische Situation
Am 15. Mai 2010 hatte sich über Mitteleuropa und Italien ein Höhentief gebildet, das sich anschließend nach Südosteuropa verlagerte und dort etwa eine Woche verblieb. Bodennah zog ein ausgeprägtes Tiefdruckgebiet von der Adria nach Osten und lag einige Tage über Ost-Rumänien. Auf der Ostseite des Höhentiefs gelangten subtropische warme Luftmassen nach Norden (Vb-Wetterlage), die durch Aufgleiten auf kühle bodennahe Luftschichten und durch Staueffekte am Gebirge stark gehoben wurden, wodurch im Westen des Tiefdruckgebiets heftige Regenfälle ausgelöst wurden. Die höchsten Niederschläge fielen im Zeitraum 16.-19. Mai im Grenzgebiet zwischen Polen und Tschechien. Am 17. Mai wurde an der tschechischen Messstation Lysá hora (Kahlberg) ein 24h-Niederschlag über 160 mm gemessen, im polnischen Cieszyn (Teschen) betrug die 3-tägige Niederschlagssumme vom 16.-18. Mai 249 mm. Neben dem Oderquellgebiet war besonders das rechtsseitige Einzugsgebiet der Oder betroffen. Eine zweite Phase heftiger Niederschläge war im Gebiet der oberen Oder vom 1.-3. Juni zu verzeichnen, deren Intensität jedoch geringer ausfiel als im Mai. [2][4]
Ablauf des Hochwassers
An der Entstehung der Hochwasserwelle der Oder hatten die aus den Beskiden kommenden Nebengewässer Ostravice (Ostrawitza) und vor allem Olše/Olza (Olsa) großen Einfluss. Unterhalb dieser Zuflüsse, am Pegel Miedonia (Oderfurt), wurde der Hochwasserscheitel am 18. Mai erreicht. Die sich in neun Tagen bis zum Pegel Ratzdorf fortpflanzende Flutwelle wurde durch die rechtsseitigen Flachlandzuflüsse der Oder erheblich verstärkt. An der Glatzer Neiße wirkten die Rückhaltebecken mindernd auf das Hochwasser. Im Oderabschnitt oberhalb von Wrocław (Breslau) traten Deichbrüche und ausgedehnte Überschwemmungen auf. Am 28. Mai erreichte der Hochwasserscheitel den Pegel Eisenhüttenstadt und am 31. Mai den Pegel Hohensaaten-Finow (Abb. 1). Entlastung für die untere Oder brachte die Flutung der Polder im unteren Odertal ab dem 28. Mai. Im Gegensatz zum Oderhochwasser 1997 führte im Jahr 2010 auch die Warta (Warthe) starkes Hochwasser, dessen Scheitel aber erst am 6./7. Juni auf die Oder traf.
Die Regenfälle Anfang Juni verursachten eine zweite Hochwasserwelle mit Scheitel am Pegel Miedonia (Oderfurt) am 3. Juni. Diese Nachwelle führte oberhalb von Wrocław (Breslau) noch einmal zu schwerem Hochwasser, verflachte unterhalb aber deutlich.
In der Oder wurden die Durchflussmaxima des Hochwassers 1997 nicht erreicht, auch die Abflussfülle war geringer. [1][3][4]
Schadensbilanz
In Deutschland blieb der Hochwasserschaden gering, da das nach dem Oderhochwasser 1997 mit hohem Aufwand fast vollständig sanierte Deichsystem den Fluten standhielt. An rund 50 Stellen waren Deichsicherungsmaßnahmen notwendig. Der Sandsackbedarf betrug gegenüber 1997 nur 0,3 %. Im Hinterland kam es durch großflächige Deichunterströmungen zu Vernässungen. [7]
In Tschechien und Polen verursachte das Hochwasser schwere Schäden. Diese entstanden im tschechischen Odergebiet vor allem durch weggerissene oder beschädigte Uferbefestigungen und beliefen sich insgesamt auf über 415 Mio. Tschechische Kronen (15 Mio. Euro). In Polen wurde der Schaden im Gebiet der Wasserwirtschaftsverwaltung in Wrocław (Breslau) auf rund 99 Mio. Polnische Zloty (24 Mio. Euro) geschätzt. Der größte Teil entfiel auf den Verwaltungsbezirk Dolnośląskie (Niederschlesien). In dessen Hauptstadt Wrocław (Breslau) war der Stadtteil Kozanów von Überflutung betroffen. Daneben enstand - in abnehmender Rangfolge - in den Verwaltungsbezirken Opolskie (Oppeln) und Lubuskie (Lebus) großer Hochwasserschaden. [5][6]
Stoffliche und hygienische Belastung
Der hochwasserbedingt verstärkte Eintrag von organischer Substanz in die Gewässer machte sich zeitverzögert im Sauerstoffhaushalt der Oder bemerkbar. Wie kontinuierliche Messungen in Frankfurt/O. und Hohenwutzen zeigen, traten die geringsten Sauerstoffkonzentrationen in der Woche vom 10.-17.06.2010 auf. Sie blieben oberhalb fischkritischer Werte (O₂-Minimum Hohenwutzen zwischen 4-5 mg/l). Die Ammonium- und Nitritkonzentrationen waren unauffällig. Kurzzeitig kam es an der rückstaubeeinflussten Lausitzer Neiße bei Ratzdorf sowie an der Oder zu deutlich erhöhten Konzentrationen von Arsen, Kupfer und Zink (Abb. 3). [1][9]
Das Oderhochwasser führte zum verstärkten Austrag hoch eutrophen Wassers aus dem Stettiner Haff in die Pommersche Bucht, wo im Juni außergewöhnlich geringe Sichttiefen, extrem erhöhte Chlorophyll-a-Gehalte und erhöhte Nitrat- und Nitritkonzentrationen gemessen wurden. [8]
Verunreinigungen durch Salmonellen oder auffällige (Fäkal-)Keimbelastungen wurden nicht festgestellt. [1]
Quellen, Literatur, Berichte
Übersichtsdarstellungen / Monografien
- Maciejewskiego, M., Ostojskiego, M.S. & Tokarczyk, T. (Red.) (2011): Dorzecze Odry monografia powodzi 2010 [Monograph on 2010 Flood in the Odra Basin]. - Instytut Meteorologii i Gospodarki Wodnej, Państwowy Instytut Badawczy: 1-164, CD-ROM, Warszawa
- [1] Ministerium für Umwelt, Gesundheit und Verbraucherschutz (Hrsg.) (2012): Das Sommerhochwasser der Oder 2010. - Fachbeiträge des LUGV 129: 1-63, Brandenburg
Hydrometeorologie und Hochwasserablauf
- Belz, J.U. & Wiechmann, W. (2010): Frühjahrshochwasser im Osten und Südosten Deutschlands. - BfG Aktuelles - Stand: 4.6.2010: 1-3, Koblenz
- [2] Bisolli, P., Friedrich, K., Rapp, J. & Ziese, M. (2010): Hochwasser im östlichen Mitteleuropa im Mai 2010. - Deutscher Wetterdienst - Geschäftsbereich Klima und Umwelt. Stand: 21.06.2010: 1-15, [Offenbach]
- Instytut Meteorologii i Gospodarki Wodnej (IMGW) [2010]: Biuletyn Monitoringu Klimatu Polski Maj 2010 [Monthly Climate Monitoring Bulletin May 2010]. - 1-25, Warszawa
- [3] Schmidt, E., Stein, B. & Hummel, M. (2010): Entstehung und hydrologischer Verlauf des Hochwassers der Oder im Mai/Juni 2010. - Hydrologie und Wasserbewirtschaftung 54 (5): 315-319, Koblenz
- Bissolli, P., Friedrich, K., Rapp, J. & Ziese, M. (2011): Flooding in eastern central Europe in May 2010 - reasons, evolution and climatological assessment. - Weather 66 (6): 147-153, London u.a.
- Březina, P. (2012): Beschreibung der Hochwasserereignisse 2009 und 2010 in der Tschechischen Republik und die daraus erworbenen Erfahrungen. - In: IKSO (Hrsg.): Zukünftige Herausforderungen an ein Hochwasserrisikomanagement und eine nachhaltige Wasserbewirtschaftung im Oder-Einzugsgebiet. - Konferenz 20./21. Juni 2011 Breslau. 45-52, Wrocław
- [4] Kosierb, R. (2012): Wasserwirtschaft an den Retentionsbecken der Glatzer Neiße während des Hochwassers im Mai 2010. - In: IKSO (Hrsg.): Zukünftige Herausforderungen an ein Hochwasserrisikomanagement und eine nachhaltige Wasserbewirtschaftung im Oder-Einzugsgebiet. - Konferenz 20./21. Juni 2011 Breslau. 53-73, Wrocław
- Kundzewicz, Z.W., Dobrowolski, A., Lorenc, H., Niedźwiedź, T., Pinskwar, I. & Kowalczak, P. (2012): Floods in Poland. - In: Kundzewicz, Z.W. (Hrsg.): Changes in Flood Risk in Europe. - IAHS Press: 319-334, Wallingford
- Szalińska, W., Otop, I. & Tokarczyk, T. (2014): Precipitation extremes during flooding in the Odra River Basin in May-June 2010. - Meteorology Hydrology and Water Management 2 (1): 13-20, Wrocław
Schadensbilanz
- [5] Regionalny Zarzad Gospodarki Wodnej Wrocław (Hrsg.) (2010): Pressemitteilung vom 6. August 2010, Wrocław
- [6] Povodí Odry, Státní Podnik [2011]: Annual Report 2010 (Výroční zpráva za rok 2010 EN). - 1-41, Ostrava
- [7] Krüger, F. & Oelze, M. (2012): Das Deichbauprogramm an der Oder - der Praxistest 2010. - Wasserwirtschaft 102 (12): 10-14, Wiesbaden
Stoffliche und hygienische Belastung
- [8] Deutsch-Polnische Grenzgewässerkommission - Arbeitsgruppe W2 "Gewässerschutz" (2011): Bericht über die Beschaffenheit der deutsch-polnischen Grenzgewässer 2010. - 1-162; unveröffentlicht
- [9] Abbas, B. (2012): Bericht über die Wasserbeschaffenheit der Oder während des Hochwasserereignisses im Mai 2010. - Landesamt für Umwelt, Gesundheit und Verbraucherschutz (Brandenburg). - Entwurf (Stand: Februar 2012), unveröffentlicht: 1-25, Frankfurt/O.
- Ibragimow, A., Walna, B. & Siepak, M. (2013): Effects of Flooding on the Contamination of Floodplain Sediments with Available Fractions of Trace Metals (Western Poland). - Polish Journal of Environmental Studies 22 (1): 131-140, Olsztyn
- Ciesielczuk, T., Kusza, G., Poluszyńska, J. & Kochanowska, K. (2014): Pollution of Flooded Arable Soils with Heavy Metals and Polycyclic Aromatic Hydrocarbons (PAHs). - Water, Air, & Soil Pollution 225 (10): 2145, Dordrecht
Sonstiges
- Deutsches Zentrum für Luft und Raumfahrt - Zentrum für Satellitengestützte Kriseninformation (2010): Hochwasser an der Oder (Satelliten-/Luftbildkarten), Oberpfaffenhofen
- Kreuzberger, N. (2013): Naturgefahren durch Hochwasser - das Beispiel Oder. - Nationalatlas aktuell für die Schule 1 (09.2013) 2; Leibnitz-Institut für Länderkunde, Leipzig