Hochwasserereignisse im Odergebiet: Das Junihochwasser 1926

Hydrometeorologische Situation

Wetterlage am 14. Juni 1926
Abb. 1: I. Verteilung der Luftmassen über Mittel- und Osteuropa am 14.06.1926.
II. Vertikalschnitt durch die Atmosphäre (A-B, stark überhöht) am 14.06.1926 um 8.00 Uhr. Darstellungen aus [2]

Nach einem relativ niederschlagsarmen und kurzen Winter - die gesamte Oder war schon Mitte Februar eisfrei - trat im Mai eine feuchte Witterung ein, die sich auch in den Juni hinein fortsetzte und bereits zu Beginn dieses Monats eine Wassersättigung des Bodens herbeiführte. Am 14. Juni erreichten vom nördlichen Eismeer heranziehende trockene Kaltluftmassen die ehemalige Provinz Ostpreußen (Abb.1). Aus Nordwesten strömte maritime Polarluft in Richtung dieser Kaltluftfront. Zwischen den von Osten und Westen heranziehenden Luftmassen befand sich ein Korridor aus angewärmter maritimer Polarluft. Über diesen Luftkorridor glitten in nördlicher Richtung vordringende, ursprünglich aus Afrika stammende warme Luftmassen auf, die über dem Mittelmeer viel Feuchtigkeit aufnehmen konnten. Durch die ständig von Westen nachrückende Luft wurden die maritimen Luftmassen vor der östlichen Kaltluftfront zusammengepresst und zum Aufsteigen gezwungen. Die Folge waren heftige Wolkenbrüche, vor allem im Zeitraum 14.-19. Juni. Im besonders stark vom Regen betroffenen oberen Einzugsgebiet der Oder fielen vom 14. auf den 15. Juni innerhalb von 12 Stunden bis zu 74 mm Niederschlag. Auch Ende Juni und im Juli/August waren im Odergebiet überdurchschnittlich hohe Niederschlagsmengen zu verzeichnen. [2][3]

Ablauf des Hochwassers

Durchflussverlauf Hochwasser 1926
Abb. 2: Durchflüsse (Tagesmittelwerte: 05.06.-20.07.1926) an ausgewählten Pegeln der Oder und Lausitzer Neiße (Nysa Łużycka)

Die heftigen Regenfälle ab dem 14. Juni auf den bereits wassergesättigten Boden bewirkten einen schnellen Anstieg der Flüsse. Das Hochwasser der oberen Oder - bei Racibórz (Ratibor) trat ein erster Durchflussscheitel am 15./16. Juni auf - wurde durch die Nysa Kłodzka (Glatzer Neiße) wesentlich verstärkt, obgleich diese kein außerordentlich starkes Hochwasser führte. Von besonderer Bedeutung für das Oder-Hochwasser waren die beträchtlichen Zuflüsse aus Bóbr (Bober) und Lausitzer Neiße (Nysa Łużycka). Im Quellgebiet der Lausitzer Neiße (Nysa Łużycka) war bereits am 5. Juni nach ergiebigem Regen eine Hochwasserwelle aufgetreten. Der erneute kräftige Niederschlag Mitte Juni führte an der Lausitzer Neiße zu einem der bisher stärksten bekannten Hochwasserereignisse, dessen Durchflussscheitel bei Guben am 18.06.1926 erreicht wurde (Abb. 2). An der mittleren und unteren Oder trat unter dem Einfluss von Bóbr (Bober) und Lausitzer Neiße um den 20. Juni ein erster Hochwasserscheitel auf, der in der letzten Juniwoche infolge weiterer Regenfälle noch deutlich überschritten wurde (Abb. 2). In Eisenhüttenstadt war der höchste Durchfluss am 25. Juni zu verzeichnen, in Hohensaaten zwei Tage später am 27. Juni. Die Warta (Warthe) erreichte ihren Hochwasserscheitel ebenfalls Ende Juni und verschärfte damit die Hochwassersituation an der unteren Oder bedeutend, auch wenn es sich um kein außergewöhnlich starkes Warta-(Warthe-)Hochwasser handelte. [2][3][4]
Da im Gegensatz zu früheren extremen Hochwasserereignissen (z.B. 1854, 1903) keine Deichbrüche eintraten, wurde nur ein vergleichsweise kleines Gebiet überflutet. Vom Quellgebiet bis Połęcko (Pollenzig) standen an der Oder etwa 300 km² unter Wasser, wobei die Überflutungshöhe der Felder im Kreis Racibórz (Ratibor) bis zu 4 m betragen haben soll. Im damaligen Wasseramtsbezirk Frankfurt/Oder wurden 74 km² überschwemmt, an der unteren Oder von oberhalb Kostrzyn (Küstrin) bis Ognica (Nipperwiese) und an den untersten 5 Flusskilometern der Warta (Warthe) bedeckte das Wasser allein an nicht eingedeichten Flächen zusammen weitere 77 km². Aufgrund der anhaltenden regnerischen Witterung standen viele im Juni/Juli überflutete Flächen nach heftigen Niederschlägen im August nochmals unter Wasser. [1][2]

Schadensbilanz

An den Oderzuflüssen im gebirgigen Teil des Einzugsgebiets wurden Brücken, Wehre und Uferbefestigungen zerstört. Aufgrund der heftigen Niederschläge und der lange anhaltenden, teilweise mehrmaligen Überstauungen von Wiesen, Weiden und Äckern erlitt die Landwirtschaft im Odergebiet große Verluste. Ferner entstanden vielerorts erhebliche Deichschäden. Da jedoch keine Deichbrüche auftraten, kommt der damalige Deichhauptmann für das Gebiet des Oderbruchs, Peter Fritz Mengel, zu dem Ergebnis, dass dieses Hochwasser "ohne wesentliche Schäden" überstanden wurde. [1][2][5]

Stoffliche Belastung

Nachdem das Wasser von den überstauten Flächen abgezogen war, blieb entlang der mittleren Oder ein auffälliger grünlicher Algenbelag zurück, der sich später gelb-braun verfärbte. [2]

Quellen, Literatur, Berichte

  • [1] Sorg, W. (1926): Ursachen und Verlauf des Oder-Hochwassers vom Juni 1926. - Geographischer Anzeiger 27: 262-265, 3 Taf., Gotha
  • Soldan, W. (1927): Die großen Schadenhochwässer der letzten Jahre und ihre Ursachen. - Zentralblatt der Bauverwaltung 47 (19/20): 217-219, 233-237, Berlin
  • [2] Fabian, W. & Bartels, G. (1928): Das Hochwasser der Oder im Sommer 1926. - Jahrbuch für die Gewässerkunde Norddeutschlands. Besondere Mitteilungen 5 (1). E.S. Mittler und Sohn: 27-42, 11 Taf., Berlin
  • [3] Preußische Landesanstalt für Gewässerkunde und Hauptnivellements (Hrsg.) (1932): Jahrbuch für die Gewässerkunde Norddeutschlands: Abflußjahr 1926. - E.S. Mittler und Sohn, Berlin
  • [4] Fickert, R. (1932): Die Hochwässer in der Sächsischen Lausitz im Juni 1926 und Oktober/November 1930. - Wasserkraft und Wasserwirtschaft 27 (21/22/23): 241-245, 258-262, 272-274, München u. Berlin
  • [5] Mengel, P.F. (1934): Die Deichverwaltung des Oderbruches. - In: Mengel, P.F. (Hrsg.): Das Oderbruch. - 2. Bd.: Verlagsgesellschaft R. Müller: 292-405, Eberswalde (Reprint 2003; Verlag viademica, Berlin)
  • Roschke, G. (1939): Niederschlag und Abfluß des Queisgebietes im Zeitraum 1926/1935. - Deutsche Wasserwirtschaft 34 (4/5): 153-159, 217-224, München u. Stuttgart