Niedrigwasserereignisse im Odergebiet: Das Niedrigwasser im Sommer / Herbst 1921

Hydrometeorologische Situation

Niederschlagsdefizit 1921
Abb. 1: Niederschlagsverteilung im zentralen Europa von Februar bis Oktober 1921 im prozentualen Vergleich zum langjährigen Mittel; aus [8] (Legende verkürzt und Lage verändert)

Dem Niedrigwasserjahr 1921 ging im Vorjahr ein sehr trockener Spätherbst voraus. Im Odergebiet lag die Summe der Niederschläge aus den beiden Monaten Oktober und November 1920 nahezu überall unter 25 %, in zentralen, nördlichen und weiten nordöstlichen Teilen des Einzugsgebiets auch unter 10 % des langjährigen Mittelwerts für diesen zweimonatigen Zeitraum. Das Jahr 1921 begann mit einem niederschlagsreichen Januar. Bis Ende Juni traten mit Ausnahme vom sehr trockenen März überregional betrachtet keine außergewöhnlich niederschlagsarmen Monate auf. Mit einem allgemein besonders trockenen Juli nahm dann eine vielerorts bis weit in den Herbst reichende Phase hoher Niederschlagsdefizite ihrer Anfang. Beispielsweise fielen in Wrocław (Breslau) von Juli bis September nur 27-47 % des langjährigen Monatsmittelwerts der Niederschlagsmenge. Die Trockenheit erfuhr eine kurze Unterbrechung, als gegen Ende der ersten Augusthälfte teilweise ergiebige Niederschläge fielen. Wie aus der in Abb. 1 vorgenommenen Betrachtung der Niederschlagssumme von Februar bis Oktober 1921 im Vergleich zum langjährigen Mittel hervorgeht, war das Einzugsgebiet der Warta (Warthe) besonders von der Trockenheit betroffen. Das Trockenjahr 1921 wurde ferner gekennzeichnet durch fast ganzjährig erhöhte Monatsmitteltemperaturen und einzelne Monate mit bemerkenswert niedriger relativer Luftfeuchtigkeit. [3][5][8]

Ablauf des Niedrigwassers

Durchflussverlauf  Niedrigwasser 1921
Abb. 2: Durchflüsse (Tagesmittelwerte: 15.07.-15.11.1921) an ausgewählten Pegeln der Oder und Lausitzer Neiße (Nysa Łużycka)

Von Januar bis April schwankten die Wasserstände der Oder meist im Mittelwasserbereich. Eine dauerhafte Unterschreitung des langjährigen mittleren Durchflusses setzte an den Oderpegeln Eisenhüttenstadt und Hohensaaten-Finow am 23. bzw. 25. Mai 1921 ein und erstreckte sich bis zum 12. Januar 1922. Am Pegel Guben an der Lausitzer Neiße (Nysa Łużycka) reichte diese Phase vom 1. Mai bis 8. November 1921. Der langjährige Referenzzeitraum umfasst für die Oderpegel die Spanne von 1920 bis 2008, für den Pegel Guben von 1912 bis 2008. Die Periode der kontinuierlichen Niedrigwasserführung unterhalb des langjährigen mittleren Niedrigwasserdurchflusses gestaltete sich an der unteren Oder bei Hohensaaten-Finow mit einer Dauer von fünf Monaten (29.06.-27.11.1921) deutlich länger als an der mittleren Oder bei Eisenhüttenstadt (22.07.-8.11.1921). Extrem geringe Wasserstände und Durchflüsse stellten sich zu Beginn der zweiten Septemberdekade ein (Abb. 2). Vom 11. bis 14. September 1921 wurde für den Pegel Hohensaaten-Finow mit jeweils 111 m³/s der niedrigste mittlere Tagesdurchfluss innerhalb des fast 90jährigen Referenzzeitraums registriert.
An der mittleren Oder am Pegel Brzeg Dolny (Dyhernfurth) unterhalb von Wrocław (Breslau) trat im Verlauf der Trockenperiode 1921 der bis dahin niedrigste bekannte Durchfluss von lediglich 21 m³/s auf. [7]
An der Lausitzer Neiße (Nysa Łużycka) bei Guben schwankte der mittlere tägliche Durchfluss in der Zeit vom 17. Juli bis zum 12. August um den langjährigen mittleren Niedrigwasserabfluss (11 m³/s), ohne diesen länger als einige Tage dauerhaft zu unterschreiten (Abb. 2). Das Durchflussminimum wurde am 31. Juli erreicht. Die deutlich höheren vorausgehenden und nachfolgenden Tageswerte des Durchflusses deuten darauf hin, dass das extreme Minimum auf den Einfluss einer oberhalb befindlichen Wehranlage zurückzuführen ist. Die Niederschläge am Ende der ersten Augusthälfte ließen den Durchfluss der Lausitzer Neiße (Nysa Łużycka) deutlich ansteigen. Erst gegen Ende August näherte sich der Durchfluss bei Guben wieder dem längjährigen mittleren Niedrigwasserdurchfluss. Dieser Wert wurde dort im weiteren Jahresverlauf zwar nicht mehr ganz erreicht, bis Ende Oktober aber auch nicht weitreichend überschritten.

Schadensbilanz

Aufgrund des ausgeprägten und lange andauernden Niedrigwassers gehörte das Jahr 1921 zu den für die Oderschifffahrt verlustreichsten Jahren. Die Unterbrechung des Schiffsverkehrs auf der Oder setzte im Juni ein und reichte bis zum Winterbeginn. Während beispielsweise 1920 über 3 Millionen Tonnen und 1922 2,4 Millionen Tonnen Güter per Schiff auf der Oder bei Wrocław (Breslau) transportiert wurden, waren es 1921 nur 1,2 Millionen Tonnen. Im Zeitraum 1888 bis 1924 wies das Jahr 1921 die höchste Zahl an Fehltagen (über 140) für den Schiffsgüterverkehr auf der Oder bei Wrocław (Breslau) auf. [4][6]

Stoffliche und hygienische Belastung

Chloridkonzentration Oder 1921/22
Abb. 3: Monatliche Extrem- und Mittelwerte der Chlorid-Konzentration der Oder in Wrocław (Breslau) von April 1921 bis März 1922 im Vergleich zum monatlichen Mittelwasserstand am Pegel Brzeg Dolny (Dyhernfurth); Daten aus [1][2][5]

Analysen zur Wasserbeschaffenheit während des Niedrigwassers 1921 sind für die Oder in Wrocław (Breslau) dokumentiert. Aus Abb. 3 ist der Verlauf der monatlichen Chlorid-Konzentration im Vergleich zur Wasserstandsentwicklung zu entnehmen. Die Werte beruhen auf täglicher Beprobung bzw. Beobachtung. Es wird deutlich, dass die mittlere Chlorid-Konzentration der Oder im Trockenjahr 1921 im Zeitraum von Mai bis September mit abnehmendem Wasserstand steil anstieg. Die höchsten Chlorid-Monatsmittelwerte lagen jedoch im Oktober und November bei bereits wieder zunehmendem Wasserstand vor. Extremwerte von 200 mg/l Chlorid und darüber wurden von 1907 (Beginn der täglichen Messungen) bis 1924 in keinem anderen Jahr erreicht. Auch der Jahresdurchschnitt der Chlorid-Konzentration übertraf 1921 alle anderen Jahre im vorgenannten Zeitraum. [1]
Analysenergebnisse für weitere Parameter zur Wasserbeschaffenheit der Oder in Wrocław (Breslau) liegen für das Jahr 1921 nur anhand einzelner Stichproben vor. Die Stichproben vom 28. Oktober bzw. 5. November 1921 zeigen, dass auch die Konzentration zahlreicher weiterer Wasserinhaltsstoffe - gegenüber sonstigen Analysenergebnissen im Zeitraum 1918-1924 - ein (sehr) hohes Niveau erreichte (z.B. Abdampfrückstand: 641 bzw. 642 mg/l, Glührückstand: 553 bzw. 548 mg/l, Kalziumoxid: 92 bzw. 106 mg/l, Magnesiumoxid: 27 bzw. 29 mg/l, Kaliumpermanganatverbrauch: 42 bzw. 41 mg/l). [1]

Quellen, Literatur, Berichte

  • [1] Lührig, H. (1924): Ueber die Beschaffenheit des Wassers der Oder bei Breslau und einiger ihrer Nebenflüsse. - Wasser und Gas 15 (1): 1-19, Berlin
  • [2] Preußische Landesanstalt für Gewässerkunde (Hrsg.) (1925): Jahrbuch für die Gewässerkunde Norddeutschlands: Abflußjahr 1922. - E.S. Mittler und Sohn, Berlin
  • [3] Henze, H. (1926): Ergebnisse der Niederschlags-Beobachtungen in den Jahren 1921-1923. - Veröffentlichungen des Preußischen Meteorologischen Instituts 342: I-XVI, 1-95, Berlin
  • [4] Fabian, W. (1927): Die obere und mittlere Oder als Schiffahrtsstraße. - Jahrbuch der Hafenbautechnischen Gesellschaft 8 (1925): 45-60, Hamburg
  • [5] Preußische Landesanstalt für Gewässerkunde (Hrsg.) (1927): Jahrbuch für die Gewässerkunde Norddeutschlands: Abflußjahr 1921. - E.S. Mittler und Sohn, Berlin
  • [6] Oderstrombauverwaltung (1930): Mitteilungen der Oderstrombauverwaltung für die Rechnungsjahre 1911 bis 1926 über die Strombauten, die Wasserstände und die Schiffahrtverhältnisse im Odergebiet. - 1-134, Breslau
  • [7] Gährs (1931): Die Arbeiten der Reichswasserstraßenverwaltung im Jahre 1930. - Die Bautechnik 9: (2/4/7/9): 21-24, 47-51, 87-90, 114-118, Berlin
  • Grunow, J. (1931): Über die Ursachen großer Trockenheit in Mitteleuropa. - Dissertation. Friedrich-Wilhelms-Universität Berlin: 1-31, Anh., Berlin
  • [8] Grunow, J. (1935): Die Wasserklemmen der Norddeutschen Ströme in den Jahren 1891-1930. - Forschungen zur Deutschen Landes- und Volkskunde 31 (2): 1-74, 3 Taf., Stuttgart