Niedrigwasserereignisse im Elbegebiet: Das Niedrigwasser im Sommer / Herbst 1911

Hydrometeorologische Situation

Niederschlag Elbegebiet 1911
Abb. 1: Niederschlagsverteilung im Elbegebiet von April bis September 1911 im prozentualen Vergleich zum langjährigen Mittel (aus [13], Ausschnitt; Elbegewässernetz hervorgehoben)

Nach einem milden Winter 1910/11 mit durchschnittlichen Schneeverhältnissen, der mit ergiebigen Niederschlägen in der zweiten Februarhälfte und Anfang März ausklang, begann eine erste längere trockene Periode des Jahres 1911, die fast bis Ende April andauerte. Der Mai war, abgesehen von einzelnen ergiebigen Regentagen Mitte und Ende des Monats, weitgehend trocken. Nachdem der Juni nach trockenem Beginn eine etwa durchschnittliche Niederschlagsmenge gebracht hatte, setzte in der ersten Juliwoche eine bis Mitte September anhaltende ausgesprochen trockene Phase ein. Extrem betroffen von der Dürre waren Gebiete östlich und südlich des Harzes. Beispielsweise fielen in Magdeburg vom 28. Juli bis zum 13. September nur 3,5 mm Niederschlag. Gebietsweise wurde die Trockenheit im August durch Regenfälle in der zweiten Augusthälfte kurzzeitig gemildert, eine nennenswerte Reduzierung des entstandenen Niederschlagsdefizits erfolgte dadurch nicht. Insgesamt war für das Sommerhalbjahr in großen Teilen des Mittelelbegebiets weniger als die Hälfte der langjährigen durchschnittlichen Niederschlagsmenge zu verzeichnen, im übrigen Einzugsgebiet der Elbe wurden fast überall nur 50-75 % des Durchschnittswerts erreicht (Abb.1). Der Oktober 1911 begann mit einzelnen Regentagen, an die sich wiederum eine trockene Periode anschloss. Auch der November war niederschlagsarm. Anhaltende ergiebige Niederschläge stellten sich in den meisten Gebieten erst während der letzten Dezembertage ein.
Mit der Trockenheit ging eine außergewöhnliche Hitzeperiode einher. Schon der Mai brachte überdurchschnittliche Temperaturen mit relativ hohen Maxima. Auf einen eher kühlen Juni folgte ein warmer Juli. Mit Beginn der letzten Dekade des Juli stiegen die Temperaturen steil an und hielten sich bis zum 14. August kontinuierlich auf hochsommerlichem Niveau. In Berlin wurden in diesem Zeitraum 13 „Heiße Tage“ (= Tropentage; Maximum mindestens 30 °C) registriert. Es wurden ungewöhnlich hohe Spitzentemperaturen erreicht (Magdeburg 37,5 °C, Torgau 37,0 °C, Erfurt 35,5 °C). Ab Mitte August wurde es kühler, Ende des Monats und Anfang September traten jedoch noch „Heiße Tage“ auf. [5][7][10][12][13][14]

Ablauf des Niedrigwassers

Durchflussverlauf Niedrigwasser 1911
Abb. 2: Durchflüsse (Tageswerte: 01.07. bis 31.10.1911) an ausgewählten Elbepegeln

Bis auf zwei kleinere Spitzen Anfang April und Ende Mai nahm die Wasserführung der Elbe von März bis Mitte August 1911, in der unteren Mittelelbe sogar bis Mitte September, kontinuierlich ab. Anschließend stieg die Wasserführung nur sehr verhalten, Mittelwasserverhältnisse wurden erst wieder im Januar 1912 erreicht.
Der niedrigste Wasserstand / Durchfluss wurde am Pegel Dresden am 14. August registriert, am Pegel Barby am 18. August und am Pegel Darchau am 20./21. September. Ab Juli 1911 gab es Meldungen über sogenannte „Hungersteine“ in der Elbe, die nur bei außergewöhnlich niedrigen Wasserständen zu sehen sind. Für die Elbepegel von der Moldaumündung bis Dresden sowie unterhalb Magdeburg bis Artlenburg beobachtete man beim Niedrigwasser 1911 die bis dahin niedrigsten Wasserstände bei eisfreiem Strom seit Beginn der Messungen. Von Meißen bis Magdeburg wurden die außerordentlich niedrigen Wasserstände des Niedrigwassers 1904 nicht erreicht. In den Unterläufen von Saale und Havel stellten sich neue Rekordniedrigstände ein. Von etwa Mitte Juli bis Mitte September lag der Durchfluss am Pegel Dresden unterhalb des mittleren langjährigen Niedrigwasserdurchflusses (MNQ), an den Pegeln Barby und Darchau wurde MNQ noch bis November / Dezember unterschritten. Das Niedrigwasser 1911 ist vom zeitlichen Ablauf mit dem Niedrigwasser der Elbe im Sommer / Herbst 2003 vergleichbar, das aber bei weitem nicht die niedrige Wasserführung des Jahres 1911 erreichte. Trockenheit und außergewöhnliches Niedrigwasser beschränkten sich nicht auf die Elbe, sondern waren auch in den angrenzenden Flussgebieten Oder und Weser zu beobachten. [12][14]

Schadensbilanz

Die Wasserversorgung der auf die Elbe als Trinkwasserlieferant angewiesenen Stadt Magdeburg gestaltete sich im Sommer und Herbst problematisch. Bei abnehmender Flusswasserqualität (s.u.) und erhöhtem Wasserbedarf war das ins Leitungsnetz abgegebene Wasser stärker keimbelastet. Der erhöhte Abwasseranteil in den Fließgewässern während des Niedrigwassers führte im Elbegebiet mancherorts zu Fischsterben. Die starke Versalzung und Verhärtung des Saale- und Elbewassers hatte am 12. November in Naumburg/S. eine viel beachtete Protestversammlung gegen die Abwassereinleitungen aus der Kali-Industrie zur Folge. [1][2][8][14]
Aufgrund der langanhaltenden sommerlichen Trockenheit lag die Kartoffelernte deutlich unter dem Durchschnitt der letzten 10 Jahre. Die Heuernte war sehr schlecht, in der Provinz Sachsen erreichte sie noch nicht einmal die Hälfte des vorjährigen Ertrags. [11]
Niedrigwasserbedingt war die Schifffahrt auf der Elbe in den Sommermonaten nur eingeschränkt möglich oder kam zum Erliegen. Bei Torgau und Wittenberg wurde der Schiffsverkehr vom 1. August bis 21. September bzw. vom 25. Juli bis 22. September eingestellt. Bei Tangermünde mussten Schiffe mit größerem Tiefgang ihre Fahrt zeitweise unterbrechen. In Sachsen erlitt auch der Personenverkehr auf der Elbe und der damit verbundene Tourismus hohe Einbußen. [9][14]

Stoffliche und hygienische Belastung

Wasserbeschaffenheit Elbe 1911
Abb. 3: Wasserbeschaffenheit der Elbe in Magdeburg und Wasserstand am Pegel Magdeburg-Strombrücke (1. Mai bis 31. Oktober 1911) (nach [3][6][12])

Während des extremen Niedrigwassers trat die Abwasserbelastung der Elbe deutlich in Erscheinung. Im Rahmen einer Vollanalyse des dem Magdeburger Wasserwerk zugeführten Elbewassers vom 28. August wurde dieses als trüb, grünlich und muffig charakterisiert. Bei Tochheim oberhalb der Saalemündung und in Magdeburg (Abb. 3) wies das Elbewasser eine hohe Oxidierbarkeit (Permanganat-Index) auf, die auf eine Beeinträchtigung durch Fäkalien und andere sauerstoffzehrende organische Substanzen hindeuten. In Magdeburg war zusätzlich eine beträchtliche Versalzung und Verhärtung des Flusswassers festzustellen. Da die Salze und Härtebildner im Wesentlichen von der Saale eingetragen wurden (Kali- und Kupferschieferbergbau), deren Wasser in Magdeburg noch nicht vollständig in die Elbe eingemischt war, wurden insbesondere am linken Magdeburger Flussufer hohe Salzkonzentrationen gemessen (bis über 800 mg/l Chlorid, Abb. 3). Am rechten Elbeufer, wo sich seit 1909 die Entnahmestelle des Magdeburger Wasserwerks befand, betrug der Chloridspitzenwert 525 mg/l (14.09.) und die maximale Härte 21,4 °dH (= 3,82 mmol/l; 21.09.). [3][4][6][8]

Quellen, Literatur, Berichte

  • [1] Anonymus (1911): Fischsterben. - Allgemeine Fischerei-Zeitung 36 (17): 376-377, München
  • Bethge, H. (1911): Das Havelplankton im Sommer 1911. - Berichte der Deutschen Botanischen Gesellschaft 29: 496-504, Berlin
  • [2] Protestversammlung (1911): Protestversammlung gegen die Verunreinigung der Flüsse des Elbegebietes durch die Endlaugen der Kaliindustrie in Naumburg a.S. - 12. November 1911. 66 S., Magdeburg
  • [3] Stadt Magdeburg (1911): Wasserwerks-Betriebsberichte für die Monate Mai bis Oktober 1911. - Magdeburg [StA-Magdeburg Acta a III 44.3b Bd.1: Magistrat Magdeburg Betriebsamt: Geschäftsberichte Wasserwerk 1909-1926]
  • [4] Wendel, O. (1911): Untersuchungen des Magdeburger Elb- und Leitungswassers von 1904 bis 1911. - 65 S., Magdeburg
  • Bonne, G. (1912): Die Zustände in der Elbe und ihren Nebenflüssen im Jahre 1911. - Verhandlungen des Internationalen Vereines zur Reinhaltung der Flüsse, des Bodens und der Luft 29: 22-123, Hamburg
  • [5] Kaßner, C. (1912): Der heiße und trockene Sommer 1911 in Norddeutschland: 2. Die Niederschlagsverhältnisse. - In: Bericht über die Tätigkeit des Königlich Preußischen Meteorologischen Instituts 1911: 105-109, Berlin
  • [6] Lehmann, M. (1912): Untersuchungen über den Chlorgehalt des Magdeburger Leitungswassers und des Elbwassers vom linken und rechten Ufer. - Chemiker-Zeitung 36 (27): 241, Köthen
  • Precht, H. (1912): Die Verunreinigung des Magdeburger Leitungswassers durch Bakterien und organische Substanzen im Sommer 1911. - Kali 6 (8): 177-188, Halle
  • [7] Schwalbe, G. (1912): Der heiße und trockene Sommer 1911 in Norddeutschland: 1. Die Temperaturverhältnisse. - In: Bericht über die Tätigkeit des des Königlich Preußischen Meteorologischen Instituts 1911: 96-105, Berlin
  • [8] Stadt Magdeburg (1912): Bericht über die Verwaltung und den Stand der Gemeinde-Angelegenheiten der Stadt Magdeburg für die Zeit vom 1. April 1911 bis 31. März 1912. - Magdeburg
  • Verein Deutscher Papierfabrikanten (1912): Ergänzungs-Denkschrift betreffend Benachteiligung der Papierfabriken zufolge der Ableitung der Endlaugen aus Chlorkaliumfabriken. - 24 S., Anl., Berlin. [GeStA PK I.HA Rep.87 F Nr. 1015]
  • [9] Kaiserliches Statistisches Amt (1913): Verkehr und Wasserstände der deutschen Binnenwasserstraßen im Jahre 1911. - Statistik des Deutschen Reichs 255 (I+II), Berlin
  • [10] Kaßner, C. (1913): Ergebnisse der Niederschlags-Beobachtungen im Jahre 1911. - Veröffentlichungen des Königlich Preußischen Meteorologischen Instituts 259: 154 S., Berlin
  • [11] Königlich Preußisches Statistisches Landesamt (Hrsg.) (1913): Statistik der Landwirtschaft (Anbau, Saatenstand, Ernte und Wasserschäden) im preußischen Staate für das Jahr 1911. - Preußische Statistik 230. Eigenverl.: I-LII, 1-26, Berlin
  • [12] Preußische Landesanstalt für Gewässerkunde (Hrsg.) (1913): Jahrbuch für die Gewässerkunde Norddeutschlands. Abflußjahr 1911. - E.S. Mittler und Sohn: Berlin
  • Vogel, J.H. (1913): Die Abwässer aus der Kaliindustrie, ihre Beseitigung sowie ihre Einwirkung in und an den Wasserläufen. - Verl. Gebr. Borntraeger: XI, 591 S., Berlin
  • Halbfaß, W. (1915): Die Wasserklemme in Nord- und Mitteldeutschland während des Sommerhalbjahres 1911. - Naturwissenschaftliche Wochenschrift N.F. 14 (7): 104-105, Jena
  • [13] Grunow, J. (1935): Die Wasserklemmen der Norddeutschen Ströme in den Jahren 1891-1930. - Forschungen zur Deutschen Landes- und Volkskunde 31 (2): 1-74, 3 Taf., Stuttgart
  • [14] Hübner, G., Schwandt, D., Deutsch, M. & Pörtge, K.-H. (2011): Das Niedrigwasser der Elbe im Jahr 1911. Projektbericht. - Hydrologie und Wasserbewirtschaftung 55 (5): 285-287, Koblenz