Hochwasserereignisse im Rheingebiet: Das Eishochwasser 1784
Hydrometeorologische Situation
Der Winter 1783/84 war außergewöhnlich kalt und schneereich. Auf den Flüssen bildeten sich bei starkem Frost dicke Eisdecken. Bei Emmerich am Niederrhein kam nach Eisgang von Mitte bis Ende Dezember 1783 das Eis vom 31. Dezember bis zum 27. Februar zum Stillstand, bei Köln setzte es sich erst am 12. Januar 1784 [5]. Die Eisdecke des Rheins bei Köln war 14 bis 16 Fuß (ca. 4 bis 4,6 m) stark [3], bei Mülheim 10 bis 15 Fuß (ca. 2,9 bis 4,3 m), so dass schwer beladene Wagen darüberfahren konnten [1].
Kurze Tauperioden im Rheineinzugsgebiet im Januar 1784 erhöhten den Wassergehalt der Schneedecke, die z.B. in Mannheim Ende Januar eine Höhe von bis zu 140 cm erreichte [2].
Ein Warmlufteinbruch um den 23.2. und großräumiger Regen bewirkten Ende Februar ein plötzliches Tauwetter, das die erheblichen Schneemengen im Flachland und in den Mittelgebirgen rasant abschmelzen ließ. Ausgelöst wurde der Warmlufteinbruch von einem blockierenden Hoch über Osteuropa, das eine südliche Luftströmung über Mitteleuropa zur Folge hatte.[6]
Ablauf des Hochwassers
Von Neckar, Main, Mosel und Rhein (ab Mannheim) wird ab dem 27. Februar 1784 von Eisaufbruch, Eisstau und massiven Überflutungen berichtet. Bereits vor dem großen Eishochwasser Ende Februar kam es im Dezember und Januar an Neckar und Mosel zu kurzfristigen Tauperioden mit kleineren Eisaufbrüchen, Überflutungen sowie zur Ausbildung mächtiger Eisbarrieren. Der Hochwasserscheitel des Rheins wurde am Pegel Mannheim am 28.2., am Pegel Köln (mit Eisstau) am 28.2.und am Pegel Emmerich am 1.3. registriert. [2][3][5]
Schadensbilanz
An der Mosel ist das Eishochwasser 1784 das bis heute höchste durch Hochwassermarken bezeugte Winterhochwasser.
Im Neckargebiet verließ der Neckar bei Neckarhausen (unterhalb Heidelberg) sein Flussbett. Der Eisstrom zerstörte innerhalb weniger Minuten das gesamte Unterdorf (35 Häuser, 25 Scheunen, alle Krautgärten mit vielen alten Nussbäumen; 13 Menschen und viel Vieh ertranken) und setzte das Oberdorf komplett unter Wasser. 228 Personen wurden mit aus Heidelberg per Pferd und Wagen herangeschafften Kähnen nach 24 Stunden Wassernot gerettet. Der Oberboden vieler Felder war weggeschwemmt und mit grobem Kies und Sand bedeckt. In Heidelberg hatte der Baudirektor Traitteur kurz vor dem Eisaufbruch eine Druckschrift veröffentlicht mit einem Verzeichnis der Straßen, die bei einem Eisstau an der Neckarbrücke unter Wasser gesetzt werden, so dass die Einwohner gewarnt waren. Außerdem wurden in den tiefgelegenen Straßen Nachtwachen auf- sowie Boote und Rettungsgerätschaften bereitgestellt, zudem eine Eiswache mit Signalkanonen etabliert. Das Wasser stieg höher als erwartet und riss die alte Neckarbrücke bis auf die Steinpfeiler weg (Abb. 3). 39 Häuser wurden zerstört, 290 Häuser und die Stadtmauer teilweise beschädigt, aber in Heidelberg verunglückte weder Mensch noch Vieh. [2][4]
Im Maingebiet waren u.a. Bamberg, Schweinfurt, Würzburg und Kitzingen von den Fluten betroffen (Einsturz der Seesbrücke in Bamberg [Abb. 4], Zerstörung von Mühlen und Lagerhäusern, ...).
Am Niederrhein und im weiteren Verlauf in den Niederlanden gab es über 100 Deichbrüche, zahlreiche Ortschaften wurden überflutet, hunderte Menschen ertranken. Thelen (1784) berichtet vom Rhein in Köln:
"Die Fluten, die bereits eine ganz ausserordentliche Höhe erreichet hatten, stürzten Eis auf Eis auf unsere Stadt mit so reissender Gewalt, als sollte dieser Tag für uns der letzte sein. [...] Die Einwohner der niedrigen Gegenden flüchteten aufwärts von Stock zu Stock; das Wasser stieg nach, und drohete die Flüchtlinge mancher Orte auf den Speichern zu ergreifen. [...] Sie wollten fliehen, aber das schnell aufschwellende Gewässer, das nach einer bestätigten Beobachtung binnen einer Viertelstunde auf 5 Fus anwuchs, hatte jederman die Wege zum Fliehen verleget. [...] In den Speicherfenstern, auf den Dächern sah man hunderte Menschen in blasser Todesnoth die Hände ringen; und um Hilfe flehen: aber wie konnte man tausende auf einmal retten!"In Köln wurde durch das Eis die Stadtmauer eingerissen. Das Wasser stieg bis zum Heumarkt, ungefähr ein Drittel aller Häuser stand unter Wasser. Etwa 15 000 Einwohner ( ⅓ der gesamten Einwohnerzahl Kölns [ohne Deutz]) verloren ihr Hab und Gut, 35 Personen das Leben (auch unter dem Schutt nachträglich eingestürzter Häuser), ca. 60 Schiffe und Kähne sowie die Schiffsbrücke wurden zerschmettert oder fortgetrieben.
In Mülheim nahm ein Teilstrom des Rheins seinen Lauf direkt durch den Ort und setzte ⅔ des Ortes unter Wasser. Von 420 Häusern wurden durch den Eisstrom 161 (und die Lutherische Kirche) komplett zerstört und über 100 stark beschädigt (auch die Druckerei und die Seidenfabrik). 21 Personen starben in den Fluten oder den einstürzenden Häusern, ca. 1800 Menschen wurden obdach- und brotlos. Aus Köln wurden bereits am 28./29.2. als Nothilfe 1300 Brote gebracht, die ohne Unterschied der Religion an die Bedürftigen ausgeteilt wurden. Der Gesamtschaden für die kleine Stadt Mülheim wurde auf 750 000 Gulden geschätzt. [1][3][6][7]
Das Elbegebiet und das Donaugebiet erlitten durch das Eishochwasser 1784 ebenfalls große Schäden.
Stoffliche Belastung
Informationen sind nicht bekannt.
Quellen, Literatur, Berichte
Literatur
- Anonymus (1784): Getreue Beschreibung der lezten ausserordentlichen Ueberschwemmung in Teutschland. Kurfürstl. privil. Zeitungs- und Addressekomtoir, München
- Anonymus (1784): Nachtrag zur Beschreibung der lezten Ueberschwemmung in Teutschland sowohl, als außer demselben. Kurfürstl. privil. Zeitungs- und Addressekomtoir, München
- Anonymus (1784): Vermischte Nachrichten von der allgemeinen Ueberschwemmung, welche die Flüsse in Deutschland und andern Orten zu Ende des Febers 1784 verursacht haben. Nürnberg
- Anonymus (1784): Gründliche Nachricht derer so merkwürdigen Wasser-Fluthen, welche in verschiedenen Gegenden Deutschlands bey erfolgtem Eisgang des Monat Feb. 1784 so erschreckliche und betrübte Verwüstung angerichtet.
- Anonymus (1784): Brief des Herrn Ritters v. **** an den Grafen v. **** über die zu Köln am Rheine den 27 und 28 Hornung 1784 erfolgte Ueberschwemmung nebst denen durch den Eisgang häufigst vorgefallenen Unglücken.
- [1] Baumer (1784): Beschreibung der schrecklichen Ueberschwemmung und Eisfahrt wodurch den 27 und 28sten Februar 1784 ein großer Theil von Mülheim am Rhein verwüstet worden ist. Hutmacher, Mülheim am Rhein
- [2] Deurer, E.F. (1784): Umständliche Beschreibung der im Jänner und Hornung 1784 die Städte Heidelberg, Mannheim und andere Gegenden der Pfalz durch die Eisgänge und Ueberschwemmungen betroffenen großen Noth: nebst einigen vorausangeführten Natur-Denkwürdigkeiten des vorhergehenden Jahres. Neue Hof- und Akademische Buchhandlung, Mannheim
- Hübner, L. (1784): Gräuliche Ueberschwemmungs-Geschichte von den Monaten Hornung und März des Jahres MDCCLXXXIV. München und Salzburg
- Lauban (1784): Historische Nachrichten von den schrecklichen Wasser-Ergießungen von den entsetzlichen Eiß-Fahrten und von den dadurch angerichteten traurigen Verwüstungen welche in den Monaten Februar und März dieses 1784sten Jahres fast in ganz Deutschland sich eräugnet haben.
- [3] Thelen, J.L. (1784): Ausführliche Nachricht von dem erschrecklichen Eisgange, und den Ueberschwemmungen des Rheines, welche im Jahre 1784 die Stadt Köln, und die umliegenden Gegenden getroffen. Köln
- [4] Traitteur, J.A. v. (1784): Nachricht an die Einwohner der Stadt Heidelberg über die gefährliche Lage des Eises an der Neckerbrücke und über die Ueberschwemmung, so bey dessen Aufbruch erfolgen kann. Heidelberg
- [5] Berghaus, H. (1837): Allgemeine Länder- und Völkerkunde. Nebst einem Abriß der physikalischen Erdbeschreibung. Zweiter Band – Drittes Buch: Umrisse der Hydrographie. Stuttgart
- [6] Glaser, R. & H. Hagedorn (1990): Die Überschwemmungskatastrophe von 1784 im Maintal. Eine Chronologie ihrer witterungsklimatischen Voraussetzungen und Auswirkungen. Die Erde, 121, S. 1-14
- Schmidt, M. (2000): Hochwasser und Hochwasserschutz in Deutschland vor 1850. Eine Auswertung alter Quellen und Karten. Oldenbourg Industrieverlag
- [7] Weikinn, C. (2000): Quellentexte zur Witterungsgeschichte Europas von der Zeitwende bis zum Jahre 1850, Hydrographie Teil 5 (1751 - 1800). Gebrüder Bornträger, Berlin, Stuttgart. (Hrsg. und bearbeitet von M. Börngen und G. Tetzlaff.)
- Heuser-Hildebrandt, B. (2005): Die Hochwasserkatastrophe von 1784 in Mainz. Ursachen, Auswirkungen, Krisenmanagement. In: Siedlungsforschung, Archäologie - Geschichte - Geographie, Bd. 23, Naturkatastrophen und Naturrisiken in der vorindustriellen Zeit und ihre Auswirkungen auf Siedlungen und Kulturlandschaft S. 131-151. Selbstverlag ARKUM e.V., Bonn.
- Munzar, J., L. Elleder, M. Deutsch (2005): The Catastrophic Flood in February/March 1784 - a Natural Disaster of European Scope. Moravian Geographical Reports. 1/2005, Vol. 13
- Demarée, G. (2006): The catastrophic floods of February 1784 in and around Belgium - a Little Ice Age event of frost, snow, river ice ... and floods. Hydrological Sciences - Journal des Sciences Hydrologiques, 51 (5), Okt. 2006
- Glaser, R. (2008): Klimageschichte Mitteleuropas - 1200 Jahre Wetter, Klima, Katastrophen. - 2. Aufl., Primus-Verl.: I-VIII, 1-264, Darmstadt
- Sartor, J. (2010): Das Jahrtausendhochwasser der Mosel von 1784. Jahrbuch Bernkastel-Wittlich 2010, S. 73-76
- Spata, M. (2017): Das Jahrtausend-Hochwasser von 1784 in Bonn und Beuel. - Kleine Beiträge zu Denkmal und Geschichte im rechtsrheinischen Bonn 4: 1-40, Bonn
- Kurpfälzisches Museum Heidelberg (2019): Ferdinand Kobell (1740 - 1799) Achtteiliger Gemäldezyklus zum katastrophalen "Eisgang" von 1784 in Heidelberg und Neckarhausen. Kunstwerk des Monats Februar 2019, Nr. 407
- [8] Pappert, D. et al. (2021): Unlocking weather observations from the Societas Meteorologica Palatina (1781 – 1792). – Supplement. - Climate of the Past.
Informationen im Internet
- Historische Klimadatenbank tambora
- Virtuelles Brückenhofmuseum (Königswinter - Oberdollendorf): Galerie Hochwasserkatastrophe 1784
- Altes Köln: Der Jahrhundert-Eisgang 1784
- Wikipedia: Winter 1783/84